Als ich fünf Jahre alt war, durchlief ich in den Bienli (Pfadi für die Kleinsten) ein Aufnahmeritual, das gleichzeitig die Taufe war. Ich musste unter anderem mit verbundenen Augen etwas essen. Ich erinnere mich, dass ich total verunsichert war, weil ich das, was ich in den Mund nehmen musste, zuvor nicht anschauen konnte. Es war ein äusserst unangenehmes Gefühl.
Tatsächlich isst das Auge nicht nur mit, es klassiert schon mal vor und sagt dem Gaumen, was er zu erwarten hat. Das ist natürlich im Alltag durchaus hilfreich, es lässt auch Gutes von Schlechtem unterscheiden.
Manchmal spielt uns das Auge aber einen Streich: in einem Experiment wurde ein Weisswein rot eingefärbt und von den ProbandInnen prompt vorwiegend mit Vokabular beschrieben, das typisch ist für Rotweine.
In einem anderen Experiment waren zwei Weine zu beurteilen. Den ProbandInnen wurde gesagt, dass es sich bei dem einen um einen günstigen Wein aus dem Supermarkt handle, beim anderen um einen hochklassigen, teuren Tropfen. Der vermeintlich teure Wein wurde durchgehend besser beurteilt. In Wahrheit war in beiden Gläsern der gleiche Wein. Das Vorwissen beeinflusst das Urteil massiv.
Auch der soziale Druck ist nicht zu unterschätzen beim Beurteilen eines Weins: es braucht viel Mut, in einer Degustationsrunde einen teuren Wein nicht zu mögen. Aus all diesen Gründen lasse ich an meinen Degustationsanlässen immer blind degustieren: die Flasche trägt ein Mäntelchen, bis auf die Farbe ist nichts über den Wein bekannt. Für den nächsten Degustationsanlass habe ich mir gar ein Set schwarze Gläser zugelegt, damit auch die Farbe keinen Einfluss mehr auf die Wahrnehmung nimmt – ich freue mich schon!
Was ich an der Taufe essen musste, war übrigens ein Stück Apfel mit Senf; es war weniger schlimm als erwartet. Viel schlimmer war: ich wurde auf den Namen Stupsi getauft. Die anderen hiessen Winnetou, Puma oder Speedy… Ich beschloss, dass das unter meiner Würde war und trat mit sofortiger Wirkung aus den Bienli aus.